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Nicht nur im Bereich der Ertragsteuern markiert die neueste Rechtsprechung von Conseil d’Etat und Cour d’appel administrative in der Rechtssache Conversant International Ltd. eine Zeitenwende, sie tut es ganz besonders im Bereich der Mehrwertsteuer.

Wo ein Unternehmen seinen Sitz hat, erfahren Geschäftspartner in der Regel aus dessen Briefkopf, der Internetseite, dem Handelsregister. Wo es aber eine umsatzsteuerliche Betriebsstätte hat, ist in der Regel nicht so leicht ersichtlich. Aus diesem einfachen wie pragmatischen Gesichtspunkt hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache Berkholz (C-168/84) seinerzeit entschieden, dass bei der Bestimmung des Leistungsorts vorrangig auf den Sitz des leistenden Unternehmens abzustellen und nur dann, wenn die Anknüpfung an den Sitz nicht zu einer steuerlich sinnvollen Lösung führt oder wenn sie einen Konflikt mit einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat, der Ort der Niederlassung zu berücksichtigen ist. Dieser Grundsatz ist auch nach der Änderung der Richtlinie im Jahr 2010 und dem Wechsel von der Perspektive des Leistungserbringers (Art. 9 der Sechsten Richtlinie) zu derjenigen des Leistungsempfängers (Art. 44 MwStSystRL) vom EuGH nicht aufgegeben, sondern in der Rechtssache Welmory (C-605/12) ausdrücklich bestätigt worden.

Allerdings ging es in den genannten EuGH-Entscheidungen um Leistungsbeziehungen zwischen fremden Dritten. Die Leistungsbeziehungen, über deren u.a. umsatzsteuerliche Einordung der Conseil d’Etat per Urteil vom 11. Dezember 2020 sowie nach Rückverweisung die Cour d’appel administrative de Paris am 8. Dezember 2021 in Sachen Conversant International Ltd. zu entscheiden hatten, betrafen hingegen solche zwischen Schwestergesellschaften ein und derselben Unternehmensgruppe. Auch wenn keines der beiden Urteile eine Berücksichtigung dieses speziellen Sachverhalts erkennen lässt, mag es zutreffen, dass sich bei Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen die Frage nach den Erkentnismöglichkeiten und -pflichten des Leistungserbringers bezüglich des Vorliegens einer Betriebsstätte des Geschäftspartners (dem Leistungsempfänger), wie sie in der Rechtssache Dong Yang Electronics (C-547/18) thematisiert wurde, nicht stellt.

Aber der Reihe nach. Die französische Tochter des us-amerikanischen Mutterkonzerns ValueClick International, später umbenannt in Conversant International, wurde in Frankreich im Rahmen eines sog. Intercompany Services Agreement tätig. Dieses sah u.a. vor, dass ValueClick France als Marketingvertreter ihrer irischen Schwestergesellschaft fungierte, was insbesondere die Identifizierung, Acquise und Weiterleitung potentieller Neukunden an die irische ValueClick International Ltd., aber auch Management- und Back-office-Leistungen bis hin zu Buchhaltung, Personalverwaltung und Inkasso umfasste. Im Gegenzug erhielt ValueClick France eine Vergütung in Höhe ihrer Betriebsausgaben zuzüglich eines Aufschlags von 8 %.

Die von ValueClick vermarktete Dienstleistung selbst bestand in der Vermittlung von Werbeplätzen auf Internetseiten Dritter an Unternehmenskunden in Frankreich. Die die Vermittlungsplattform beherbergenden Server ihrerseits standen weder in Irland noch in Frankreich, sondern in Holland, Schweden und den USA.

Falls feststehe, dass die französische Gesellschaft über ausreichend personelle und technische Ausstattung verfüge, um als aktive Betriebsstätte im Sinne von Art. 11 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zur MwStSystRL betrachtet zu werden, der die Leistungen ihrer irischen Schwester zugeordnet werden könnten, so der Conseil d’Etat, stelle sich die Frage nach einer gfls. sinnvolleren Anknüpfung an den Sitz des leistenden (irischen) Unternehmens nicht (s. Urteilsbegründung Rn 11 aE).

In Anwendung der vom Conseil d’Etat vorgegebenen Grundsätze stellte das Berufungsgericht sodann fest, dass die ValueClick France mit ausreichend Personal ausgestattet sei, um selbständig die Leistung der irischen Limited zu erbringen, nämlich die Entscheidung zu treffen, mit einem bestimmten Inserenten einen Vertrag zu schließen, durch den letzterer in den Genuss der Leistungen komme, deren Erfolg die irische Schwester sicherstelle. Was die technische Ausstattung betreffe, so genügten die Einrichtung und Verwaltung der Kundenkonten durch die französischen Mitarbeiter, um den Inserenten effektiv Zugang zu den vertraglich vereinbarten Funktionen der Plattform zu verschaffen, da es hierfür keiner Mitwirkung weiterer Gesellschaften aus der Untenehmensgruppe bedürfe, abgesehen von der Mitwirkung der irischen Schwester, die sich um die Entwicklung und Pflege der Software und den Betrieb der Server kümmere.

Die Entscheidung der Cour d’appel admnistrative dürfte richtungsweisend sein angesichts des Geschicks, mit dem sie der Problematik der Lokalisierung der Server im Feld der digitalen Dienstleistung den Zopf abschneidet. Dies gelingt ihr mit gewissermaßen traditionellem Handwerkszeug, nämlich dem Blick auf die handelnden Personen sowie deren Funktion und Aufgaben. Und da wie so häufig am Ende das Ergebnis zählt, wird man den Richtern beipflichten, wenn sie den Standort der Server bei der Bestimmung des Leistungsorts als unbeachtlich eingestuft haben.

Was bleibt, ist eine potentiell verheerende Konsequenz für das irische Unternehmen, welches zunächst im Vertrauen auf das Vorliegen eines Reverse-Charge-Falls gegenüber seinen französischen Unternehmenskunden ohne Umsatzsteuer abgerechnet und diese nun nachträglich abzuführen hat, obwohl die Steuer von den Kunden bereits angemeldet worden ist. Tröstlich zu erwähnen ist immerhin die Regelung des Artikels 247 Livre des procédures fiscales, der der französischen Finanzverwaltung auf Antrag des Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines vollständigen oder teilweisen Erlasses der Nachzahlung ermöglicht, wenn letztere der Entstehung einer Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens geschuldet und die Steuer von den Leistungsempfängern (Reverse Charge) tatsächlich angemeldet bzw. abgeführt worden ist. Einen Anspruch auf Erlass hat der Steuerpflichtige jedoch nicht.

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