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Mit seinem Urteil in der Rechtssache Conversant International Ltd. vom 11. Dezember 2020, nach Rückverweisung gefolgt von der Cour d’appel administrative am 8. Dezember 2021, hat der Conseil d’Etat die Karten in puncto Vertreterbetriebsstätte neu gemischt. Dies stellt eine Herausforderung für Berater und Unternehmen dar.

In der Vergangenheit gaben wir Berater unseren Mandanten häufig den Rat, in Frankreich eine Tochtergesellschaft zu gründen, wenn es darum gehen sollte, Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Ergebnisses einer ansonsten vorhandenen französischen Betriebsstätte des ausländischen Unternehmens zu vermeiden. Es galt dann „nur“ noch, die Geschäftsbeziehungen von Mutter und Tochter durch die Bestimmung angemessener Verrechungspreise zu dokumentieren.

Das dürfte sich auch der in den USA beheimatete Konzern ValueClick International, später umbenannt in Conversant International, gedacht haben, als sich ihm die Frage stellte, wie er mittels seiner irischen Tochtergesellschaft am besten den französischen Markt bedienen könne und hierzu in Frankreich eine Filiale gründete, deren Rechtsbeziehungen zu ihrer irischen Schwester durch ein sog. Intercompany Services Agreement ausgestaltet waren. Letzteres sah u.a. vor, dass ValueClick France als Marketingvertreter ihrer irischen Schwestergesellschaft fungiere, was insbesondere die Identifizierung, Acquise und Weiterleitung potentieller Neukunden an ValueClick International, aber auch Management- und Back-office-Leistungen bis hin zu Buchhaltung, Personalverwaltung und Inkasso umfasste. Im Gegenzug erhielt ValueClick France eine Vergütung in Höhe ihrer Betriebsausgaben zuzüglich eines Aufschlags von 8 % (cost plus method). Über eine Abschlussvollmacht zur Unterzeichnung der Verträge zwischen den französischen Kunden und der irischen Limited verfügte die französische Gesellschaft nicht. Was konnte unter diesen Umständen, außer einer Beanstandung der Höhe des Aufschlags auf die Betriebskosten, von Seiten des französischen Finanzamts schon drohen?

Nun, die französische Finanzverwaltung und im Ergebnis die Gerichte qualifizierten die ValueClick France als Vertreterbetriebsstätte der irischen Ltd. mit der Folge einer Besteuerung des Betriebsstättengewinns der irischen Schwester in Frankreich zusätzlich zu dem ohnehin bereits der französischen Körperschaftsteuer unterworfenen und im Wege der Cost-plus-Methode ermittelten Gewinn der ValueClick France.

Es ist die Begründung des Staatsrats, die aufhorchen lässt. Unter explizitem Verweis auf die Nrn. 32.1 und 33 des OECD-Musterkommentars von 2003 bzw. 2005 zu Artikel 5 des OECD-Musterabkommens bejaht der Conseil d’Etat das Vorliegen einer Vertreterbetriebsstätte mit dem Hinweis, dass die französische Schwestergesellschaft als Vertreterin über Abschluss und Inhalt der Verträge entschied, die anschließend von ihrer irischen Schwester lediglich unterzeichnet, d.h. formal geschlossen wurden. Dieses Verständnis des Begriffs der Vertreterbetriebsstätte, die demnach bereits vorliegt, wenn eine Person in einem Vertragsstaat „gewöhnlich die führende Rolle beim Abschluss von Verträgen einnimmt, die regelmäßig ohne wesentliche Änderung durch das vertretene Unternehmen geschlossen werden“, steht ganz im Geist des Artikel 12 Abs. 1 des Multilateralen Übereinkommens (Multilateral Instrument – MLI), mit dem verhindert werden soll, dass ein Unternehmen lediglich dadurch, dass es den Vertreter nicht mit Zeichnungsvollmacht ausstattet und stattdessen selbst die Verträge unterzeichnet, obwohl die maßgebliche Verhandlungsführung bei der Ausarbeitung der Verträge beim Vertreter liegt, das Entstehen einer Bestriebsstätte im anderen Staat vereiteln kann.

Die Sprengkraft des Urteils liegt in der – in diesem Fall mehr als – dynamischen Auslegung des irisch-französischen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) vom 21. März 1968, das seit seiner Ratifizierung nicht mehr geändert worden war und – wie im übrigen auch das DBA zwischen Frankreich und Deutschland sowie dasjenige zwischen Frankreich und der Schweiz – das Entstehen einer Vertreterbetriebsstätte an das Vorliegen einer formellen Vollmacht des Vertreters zum Abschluss von Verträgen knüpft. Gemeinhin galt bis dato auch in Frankreich der Grundsatz, dass die Auslegung eines DBA nicht infolge späterer Entwicklungen insbesondere des OECD-Musterkommentars beeinflusst wird (sog. statische Auslegung, wie sie der BFH in seinem Urteil vom 16. Januar 2014, I R 30/12 vertritt, aber nicht weniger der Conseil d’Etat selbst in seinem Referenz gewordenen Urteil SA Andritz vom 30. Dezember 2003, n° 233894). Seinem Berichterstatter bis in die Begründung des Urteils hinein folgend, legt der Conseil d’Etat diese starre Haltung zugunsten einer dynamischen Auslegung von DBA nunmehr ab und folgt damit nicht zuletzt den Empfehlungen der OECD selbst.

Für Unternehmen – vorzugsweise Muttergesellschaften mit französischen Filialen oder solchen, die sich anschicken, es zu werden – aus Deutschland und der Schweiz ist diese Entwicklung von höchster Wichtigkeit, da der Betriebsstättenartikel der Doppelbesteuerungsabkommen dieser Länder mit Frankreich denselben Wortlaut hat wie derjenige im DBA zwischen Frankreich und Irland. Insbesondere aus Sicht Deutschlands, das in seinem MLI-Umsetzungsgesetz vom 22. November 2020 die Anwendung von Artikel 12 MLI ausgeschlossen hat, wird es deshalb zukünftig zu Qualifikationskonflikten zwischen beiden Ländern bei der Frage kommen, ob eine Vertreterbetriebsstätte begründet wurde: Wo die deutsche Finanzverwaltung eine solche verneint, wird die französische sie bejahen. In einem Fall einer deutschen Mutter mit französischer Tochter bedeutet das (1.) die Besteuerung der Tochter mit ihrem nach Verrechnungspreisgrundsätzen ermittelten Gewinn (vgl. Cost-plus bei ValueClick), (2.) die Besteuerung der französischen Betriebsstätte mit ihrem regelmäßig mangels entsprechender Buchhaltung zu schätzenden Gewinn und (3.) die Besteuerung des französischen Betriebsstättengewinns innerhalb der Veranlagung der Mutter zur deutschen Körperschaftsteuer, da aus deutscher Sicht keine französische Betriebsstätte existiert, die aus dem deutschen Gewinn herauszurechnen wäre.

Dies alles unterstreicht die Rolle des Beraters und die herausgehobene Bedeutung der Klärung der tatsächlichen Verhältnisse und Abläufe innerhalb der Unternehmensgruppe, um im Vorfeld einer Expansion nach Frankreich die ertragsteuerlichen Rahmenbedingungen abzuklären. Gleichermaßen sollten alle bereits bestehenden Strukturen, die sich insbesondere einer Vertriebsgesellschaft in Frankreich bedienen, ihre Abläufe unter den steuerlichen Scanner legen.

Die umsatzsteuerlichen Konsequenzen der Conversant-Rechtsprechung bleiben einem gesonderten Beitrag vorbehalten.